Dienstag, 8. Mai 2018

Diskursiv.


Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist also absolut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit.
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Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182


Nota. - Das ist das ganze Reich des diskursiven Denkens. 'Da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus.' Sein abtrünniger Schüler Herbart, der von der (transzendentalen) Freiheit gar nichts hielt, sollte es samt und sonders als Metaphysik zusammen fassen: alles Denken, das 'eine Vorstellung an die andere knüpft'.  Daneben oder ihm gegenüber findet er im Denken dasjenige Vorstellen vor, bei dem die jeweilige Vorstellung 'notwendig vom Ge- fühl des Beifalls oder der Missbilligung begleitet' ist: die Ästhetik. Das umfasst alle Werturteile, die vom ('meta- physischen') Verstand aus gar nicht möglich wären.

Ethik ist nach dieser Auffassung eine Unterabteilung der Ästhetik: diejenige, die Werturteile über Willensakte fällt. Wohl hat der "Eleat" Herbart in seiner Metaphysik die radikalst mögliche Gegenposition zur Transzen- dentalphilosophie eingenommen; aber mit seiner ästhetischen Ethik hat er nachträglich der Wissenschaftslehre einen besseren Abschluss anerfunden, als Fichte ihn selber fand.

Freiheit konnte Herbart als orthodoxer Lutheraner im ethischen Bereich schon gar nicht zugeben: "Vernunft kommt von vernehmen." (Etymologisch trifft das zu.) Für Fichte waren Sittlichkeit und Willensfreiheit Wech- selbegriffe. In diesem einen Punkt aber waren sie sich einig: Freiheit ist die Grenze des Begreifens. 
JE

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